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Der 'Züchterblick' - eine wissenssoziologische Studie zum Erfahrungswissen in der ökologischen Pflanzenzüchtung

Projekt


Förderkennzeichen: 04OE001
Laufzeit: 01.10.2004 - 30.09.2006
Fördersumme: 71.931 Euro
Forschungszweck: Bestandsaufnahme & Abschätzung

Kurzportrait: Seit dem Ende der 1990er Jahre wird für den ökologischen Landbau verstärkt eine Neuorientierung der Agrarforschung mit erweiterten Forschungs- und Bildungsperspektiven diskutiert. Der ökologische Landbau steht zunehmend vor der Herausforderung, die besondere Qualität seiner Produkte und Produktionsweise zu rechtfertigen. Herkömmliche Abgrenzungskriterien wie die Betonung der Kreislaufwirtschaft oder der Verzicht auf Mineraldünger und chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel sind dafür nicht mehr ausreichend. Deshalb werden Qualitätskriterien und Forschungsmethoden gefordert, mit denen die besondere ökologische Qualität abgesichert werden kann. In diesem Zusammenhang werden Konzepte wie Naturphänomenologie als alternativer Zugang der Wissensgewinnung und Transdisziplinarität bzw. Partizipation als fachübergreifende und die Praxis einbeziehende Ansätze diskutiert. Dieser Diskurs offenbart, dass es auch im Ökologischen Landbau noch nicht gelungen ist, das Fehlen einer wissenssoziologischen bzw. erkenntnistheoretischen Fundierung zu beseitigen. Ein besonderes Dunkel umgibt die Forschungspraxis selbst. Im Unterschied zu dem in den Lehrbüchern systematisch erfassten wissenschaftlichen Wissen ist bisher unbekannt, wie die Forschenden in ihrer empirischen Praxis Wissen generieren und welche Rolle dabei insbesondere auch das Erfahrungswissen spielt. Das vorliegende Forschungsprojekt möchte die Besonderheiten des Phänomens des 'Züchterblicks' aufklären. Das Erhellen der 'black box' der Züchtungspraxis und das Sichtbarmachen des 'impliziten Wissens' leistet einen Beitrag für die epistemologische Fundierung erweiterter Forschungsmethoden im ökologischen Landbau, zur Verbesserung der Lehr- und Lernbarkeit von Erfahrungs-wissen, zum Verständnis der Züchtungspraxis nicht-professionell ausgebildeter ZüchterInnen und für die Entwicklung einer ökologischen Pflanzenzüchtung, die alle Quellen des Wissens einschließt. Das im Projekt gewählte Beispiel der Pflanzenzüchtung ist dabei als stellvertretend anzusehen; auch andere Fach- und Forschungsgebiete können von den erarbeiteten Kenntnissen profitieren. Kurzfassung der Ergebnisse: Ausgangspunkt war die Frage, welche Bedeutung Erfahrungswissen im Rahmen der professionellen Pflanzenzüchtung hat und wie dieses Erfahrungswissen im Kontext der Züchtungspraxis zu verstehen ist. Dafür wurden fünf Getreidezüchter interviewt und die Züchtungspraxis in einem Zuchtgarten über eine Vegetationsperiode hin durch teilnehmende Beobachtung erfasst. Es wurden die verschiedenen Situationen der Wissensherkünfte erfasst, fünf Wissenskategorien entwickelt und in einer Entscheidungsmatrix reintegriert. Verbindendes Element der Kategorien ist die vernetzte Struktur der Geschichten, die in ihrer Komplexität als Erfahrungswissen bezeichnet werden kann. An Hand der Entscheidungsmatrix konnten die verschiedenen Entscheidungssituationen - Selektion in früher versus später Filialgeneration und Kreuzungsplanung - in ihrer Bedeutung verständlich gemacht werden. In diesem Zusammenhang konnten drei Bewusstheiten – vegetationale Bewusstheit, generationale Bewusstheit, Bewusstheit im Eigenschaftenstrom - unterschieden werden. Mit ihrer Hilfe können die verschiedenen Ebenen züchterischen Handelns sowie das Erlernen der Züchtungspraxis nachvollzogen werden. Kompetentes züchterisches Entscheidungshandeln integriert alle Wissenskategorien und alle Bewusstheitsebenen und bildet in der Gesamtheit den „Züchterblick“. Dem eigentlichen Entscheiden geht ein vieldimensionaler Abwägungsprozess voraus, der als Erkennen des Invarianten beschrieben wurde. Erfahrungswissen wird als in Geschichten gefasstes, verzweigte Erzählstränge integrierendes Wissen beschrieben, das sowohl den etablierten Wissenskanon, als auch subjektivbezogene Wissensformen aus einer individuellen Perspektive – hier der Züchterpersönlichkeit - umfasst. Die Charakteristika von Erfahrungswissen, die hier am Beispiel der Pflanzenzüchtung aufgezeigt werden konnten, haben weitreichende theoretische und praktische Konsequenzen für Lehre und Forschung. Konsequenterweise sollte die universitäre Lehre das Erfahrungen sammeln als geleitetes „Machen-lassen“ in den Mittelpunkt stellen, um eine subjektorientierte Entwicklung von Erzählsträngen zu ermöglichen, die alle Wissenskategorien integriert. Ferner kann das Erkennen des Invarianten, dem hier im Kontext des Entscheidungshandelns eine wichtige Rolle zugesprochen wurde, forschungsmethodologisch als Grundlage alternativer Forschungsmethoden bezeichnet werden. Mit dem Goetheanismus und der Phänomenologie der Natur wurden hier Möglichkeiten erläutert.

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Fachgebiete

Ausführende Einrichtung

Abteilung Pflanzenzüchtung

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