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Beziehungen und Ressourcenflüsse in der ländlichen Gesellschaft: Soziale Netzwerke in Westfalen im 19. Jahrhundert

Projekt

Ländlicher Raum

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Ländlicher Raum


Förderkennzeichen: DFG
Laufzeit: 01.01.2003 - 31.12.2009
Forschungszweck: Grundlagenforschung

Das Projekt untersucht soziale Netzwerke und Ressourcenflüsse in zwei bis drei ländlichen Gemeinden Westfalens (19. Jahrhundert). Die Forschungsgruppe kann auf umfangreiche Datenbanken zurückgreifen, die teilweise bereits in früheren, von der DFG geförderten Projekten aufgebaut wurden. Sie wurden in diesem Projekt um weitere für die Untersuchung zentrale Quellen ergänzt. Es wurden neben qualitativen und deskriptiven statistischen Verfahren auch netzwerkanalytische und multivariate statistische Verfahren eingesetzt. Aufgrund der Förderung konnten in überschaubarer Zeit vergleichende Studien zu zwei bzw. drei Gemeinden im Rahmen von zwei Dissertationsprojekten durchgeführt werden, die zu einer Verbreiterung eines noch recht schmalen Forschungsfeldes beitragen. Schon früh wurde deutlich, dass soziale Netzwerke und Ressourcenflüsse schon vor der Entstehung moderner Institutionen voneinander abgekoppelt sein konnten. Die Dissertationsprojekte der Bearbeiter wurden daher komplementär angelegt, zum einen mit Schwerpunkt auf der Konstruktion sozialer Netzwerke und der Transformation zu einer Klassengesellschaft, zum anderen zu Vermögensstrategien im Kontext von Agrarreformen und institutionellem Wandel von Kreditmärkten. In den beiden Studien sind eine Fülle von Ergebnissen zu den angeführten Themen und Erfahrungen mit der Anwendung von Netzwerkforschung in historischen Kontexten erarbeitet worden. Der Vergleich von Gemeinden in derselben Region (hier der preußischen Provinz Westfalen) ermöglicht die Unterscheidung zwischen regionalen Spezifika und lokaler Variation, insofern weist das in diesem und den Vorgängerprojekten entwickelte Forschungsdesign über die isolierte Ortsmonographie hinaus. In europäischer Perspektive führen die hier erarbeiteten Ergebnisse unter anderem zu der Aussage, dass die anhand von Realteilungsgebieten entwickelten Vorstellungen über soziale Beziehungen, Verwandtschaftsorientierung und Klassenbildung für ländliche Gesellschaften mit Unteilbarkeit nicht zutreffen. In Westfalen wurde wie im zentralfranzösischen Gevaudan Klassenbildung nicht über Venwandtenheiraten vorangetrieben, sondern durch die familiäre Bündelung des Landbesitzes in einer Hand, zunehmend auch über die Ausweitung des agrarischen Arbeitsmarktes. Protoindustrie führte dagegen eher zu stärkerer Vernetzung der dörflichen Gesellschaft und zu paternalistischen Abhängigkeitsbeziehungen. Zumindest bis in die mittleren Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts existierte in Ostwestfalen ein sozial inkludierendes Heiratsnetz, in dem Ressourcen zirkulierten, und das die Sozialform des Heuerlingssystems auch über das Zusammenbrechen der protoindustriellen Märkte hinaus konservierte. Ressourcenflüsse wurden im ländlichen Westfalen nur zum Teil durch Netzwerke gesteuert. Daneben blieben familiale Transfers von überragender Bedeutung, während gleichzeitig die Bedeutung von Märkten für agrarische Produkte, Arbeitskraft und Kredit zunahm. Märkte ersetzten familiale und netzwerkbezogene Transaktionen jedoch nicht, sondern verhielten sich komplementär - sie wurden etwa auch dazu genutzt, um Familienstrategien verfolgen zu können. Das Aufzeigen solcher Ungleichzeitigkeiten stellt eine wichtige Grundlage für das Verständnis des spannungsvollen Übergangs zur Marktgesellschaft in den ländlichen Gebieten Deutschlands dar.

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